Beginn des Donbass-Kriegs: Vor zehn Jahren marschierte die Girkin-Gruppe in die Ukraine ein

Der Krieg im Donbass wurde lange als Bürgerkrieg zwischen der ukrainischen Regierung und ukrainischen Separatisten dargestellt. Das war er nicht – Russland war von Anfang an beteiligt. Am Morgen des 12. April 2014 besetzte Igor Girkin alias Strelkow das Gebäude der Stadtpolizei von Slowjansk.

Es gibt Aspekte des eigentlich schon seit zehn Jahren andauernden russisch-ukrainischen Krieges, die gut untersucht und eindeutig bewiesen sind. Dass beispielsweise die regulären russischen Streitkräfte von Anfang an die Annexion der Krim betrieben haben, mit der im Februar und März 2014 alles begann, bestreitet nicht einmal mehr Wladimir Putin. Außerdem gibt es allein auf der Basis von frei zugänglichen Daten eine ganze Reihe von Belegen, dass die russische Armee während der aktivsten Phase der Kampfhandlungen im Donbass, bis zur Unterzeichnung des sogenannten Minsker Abkommens Mitte Februar 2015, mindestens zweimal zum Einsatz kam, um die sogenannten Separatisten zu unterstützen.

Auch darüber hinaus haben die Separatisten nachweislich reichlich russische Militärtechnik benutzt, nicht nur das von Russland in den Donbass gebrachte Flugabwehrsystem BUK, mit dem der Flug MH17 abgeschossen wurde. Das Recherchenetzwerk Bellingcat ermittelte eine Liste von Fällen, bei denen die Ukraine schon damals vom russischen Territorium aus beschossen wurde. All das wurde, obwohl es offensichtlich war, von Moskau bestritten. Stattdessen sprach Putin davon, dass die Ukraine mit ihrer am 14. April 2014 begonnenen Antiterroroperation im Donbass die Armee gegen die eigene Bevölkerung einsetze und es sich damit um eine “Strafoperation” handele.

“Ich habe den Auslöser abgedrückt”

Gerne stellt es der Kremlchef bis heute so dar, als wären es die ukrainischen Streitkräfte, die im ursprünglichen Donbass-Krieg den ersten Schuss abgegeben haben – und zwar angeblich auf die eigene, friedliche Bevölkerung. Doch der ukrainischen Antiterroroperation war etwas vorausgegangen, das von offiziellen Stellen in Moskau ungern erwähnt wird: In der Nacht vom 11. auf den 12. April marschierte eine bewaffnete Gruppe um Igor Girkin, auch als Igor Strelkow bekannt, vom russischen Bezirk Rostow aus in die Stadt Slowjansk in die Region Donezk ein. Girkin ist ein ehemaliger Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB, möglicherweise auch des russischen Militärgeheimdienstes GRU.

Die Girkin-Gruppe besetzte am Morgen des 12. April das Gebäude der Stadtpolizei von Slowjansk und kam so an weitere Waffen. Kurz darauf fielen die ersten Schüsse im Donbass. All das ist gut dokumentiert – vor allem durch die Erinnerungen der Beteiligten selbst. “Ich habe den Auslöser zum Krieg abgedrückt”, sagte Girkin Ende 2014 im Interview mit der national-kommunistischen russischen Zeitung “Sawtra” (“Morgen”). “Hätte unsere Einheit nicht die Grenze überquert, wäre alles so wie in Charkiw, wie in Odessa zu Ende gegangen. Das wäre das Ende gewesen. Das Schwungrad des Krieges hat unsere Einheit ins Leben gerufen. Wir haben alle Karten auf dem Tisch gemischt.”

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Was jedoch für viele lange eine offene Frage blieb: Inwiefern war der Kreml in den Einmarsch der Girkin-Truppe involviert? Zumal Girkin zwar russischer Staatsbürger und ehemaliger FSB-Oberst ist. Im Januar 2024 wurde er jedoch in Moskau zu vier Jahren Straflager verurteilt – de facto für seine Kritik an der russischen Kriegsführung bei den aktuellen Kampfhandlungen. Zu weich, zu inkompetent handelt seiner Meinung nach die russische Armee. Auch mit Kritik an Putin sparte er in den letzten Jahren nicht.

Ende März flauten die prorussischen Proteste ab

Dieser Frage widmete sich Ende 2023 unter anderem der bekannte russische Investigativjournalist Andrej Sacharow, der für das unabhängige Exil-Medium “Proekt” den Film “Sein Krieg. Wie Putin den Krieg gegen die Ukraine wirklich begann” drehte. Der Film beruft sich auf Quellen, die alle bekannt und öffentlich verfügbar sind: Erinnerungen von Teilnehmern, abgehörte Telefonate, aber auch und vor allem zwei gehackte Mailarchive, an deren Echtheit kein Zweifel besteht. Darin enthalten sind Mails von Kirill Frolow, einem Vertrauten des ehemaligen Putin-Beraters Sergej Glasjew, der sich mit den Ukraine-Fragen befasste. Weitere Mails stammen von Wladislaw Surkow, ebenfalls ein Ex-Berater des russischen Machthabers.

In seinem Film kommt Sacharow zu dem Schluss: Es ist höchst unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass der Einmarsch der Girkin-Truppe nicht von ganz oben bewilligt wurde. Doch worauf konkret basiert diese Schlussfolgerung? Nach der zu Ende gegangenen Maidan-Revolution in Kiew und am Rande der laufenden Krim-Annexion hatte es auch im Donbass überschaubare prorussische Proteste gegeben, deren Anführer Kontakt zu Moskau pflegten. Ende März 2014 gingen die Proteste jedoch bereits stark zurück. Die Anführer saßen entweder in Haft oder waren geflohen.

Ausgerechnet in diesem Moment nehmen Personen aus dem Umfeld des von Russland frisch installierten Ministerpräsidenten der annektierten Krim, Sergej Aksjonow, Kontakt mit Aktivisten im Donbass auf. Davon erzählt Sergej Judajew, einer der Anführer der prorussischen Proteste in Charkiw, in seinen Memoiren. Die Aktivisten aus Charkiw, Donezk und Luhansk wurden von Aksjonows Leuten nach Rostow eingeladen, um eine gemeinsame Aktion zu planen. Dieses Treffen fand in den ersten Tagen des April 2014 statt. Es wurde beschlossen, dass die drei Städte synchron und mit der Unterstützung der Krim agieren würden. Das deckt sich mit den Erinnerungen von anderen Akteuren. Als Berater für Aksjonow fungierte damals übrigens Girkin.

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Der Rostower Plan wird umgesetzt

Sergej Judajew wurde von “Proekt” gefragt, mit wem konkret sich die prorussischen Aktivisten getroffen hatten. Namen nannte er nicht, betonte jedoch, dass sich in Rostow “Architekten zukünftiger Ereignisse” befanden hätten, die aus mächtigen “Moskauer Büros” angereist seien. Schließlich wurden für den 6. April Demonstrationen in Charkiw, Donezk und Luhansk angekündigt. In Donezk wurde an diesem Tag das örtliche Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU gestürmt, dort gelagerte Waffen wurden von den Eindringlingen erbeutet – Judajews Erinnerungen zufolge passierte dies genau nach dem Plan, der in Rostow erarbeitet worden war. Am nächsten Tag wurde die “Volksrepublik Donezk” ausgerufen. Nach dem ähnlichen Muster verliefen die Ereignisse in Luhansk. Auch dort plünderten angebliche Aktivisten SBU-Büros, um an Waffen zu kommen. Allerdings erfolgte die Ausrufung der “Volksrepublik Luhansk” erst Ende April.

In Charkiw wurde zwar ebenfalls eine “Volksrepublik” ausgerufen. Die ukrainischen Sicherheitsbehörden konnten jedoch verhindern, dass die prorussischen Akteure an Waffen kamen – und so dauerte die Geschichte der “Volksrepublik Charkiw” lediglich einen Tag. In Donezk und Luhansk wurde die Lage dagegen immer ernster. Nun war die rund 50-köpfige Girkin-Gruppe dran, die von ihm auf der Krim formiert wurde. Sie bestand überwiegend aus russischen und ukrainischen Ex-Militärs. Niemand von den Teilnehmern bestreitet, dass die Gruppe von Konstantin Malofejew finanziert wurde, einem orthodox-nationalistischen russischen Oligarchen mit Kontakten zur AfD, der unter anderem durch den nationalistischen Fernsehsender Zargrad bekannt ist.

Am 12. April erfolgte dann der erwähnte Grenzübertritt Richtung Slowjansk. Der Krieg beginnt, die Ukraine kündigt als Folge ihre Antiterroroperation an. Dass Oligarch Malofejew Girkin finanziell unterstützte, ist klar. Dass der russische Krim-Chef Sergej Aksjonow das Vorgehen organisatorisch unterstützte, ist ebenfalls bewiesen. Wer hat jedoch den Grenzübertritt bewilligt? Wurde er von ganz oben angeordnet?

“Big Boss aus Moskau”

Ein weiterer Berater Aksjonows, der zukünftige Ministerpräsident der “Volksrepublik Donezk”, Aleksandr Borodaj, der auch Malofejews Finanzen managte, erinnert sich in seinem Buch “Die 85 Tage von Slowjansk” dazu folgendermaßen: Nachdem Borodaj Girkin das nötige Geld in Rostow übergab, kehrte er nach Moskau zurück. Am Flughafen traf er eine russische Delegation, die selbst von Verhandlungen im Ausland zur sogenannten Ukraine-Krise zurückkehrte. Die Mitglieder dieser Delegation wussten, dass Girkins Grenzübertritt geplant war. Somit ist extrem unwahrscheinlich, dass die Aktion auf die alleinige Initiative von Aksjonow und Malofejew entstand.

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In Moskau spielte sicher Putins Berater Wladislaw Surkow eine Rolle, bei dem auch Berichte über die Zahlung der Kautionen für die in Charkiw verhafteten prorussischen Aktivisten eingingen. Doch laut den Quellen von “Proekt” aus der Umgebung von Girkin kümmerte Surkow sich vor allem um politische Fragen rund um den Donbass. Der militärische Aspekt war in den Händen von Sicherheitsbehörden, was Surkow selbst in abgehörten Telefonaten bestätigte. Und es gibt mindestens eine Person aus den oberen Rängen der russischen Sicherheitsorgane, von deren Beteiligung man ausgehen kann.

Die sogenannten Surkow-Leaks enthalten ein Schreiben des Oligarchen Malofejew mit einer Kandidatenliste für die Regierung der “Volksrepublik Donezk”, datiert einen Monat nach dem Girkin-Einmarsch. Am Ende der Liste steht der Hinweis: “Die Meinung von Wladimir Iwanowitsch muss gefragt werden.” Wladimir Iwanowitsch kommt auch in den im Sommer 2014 abgehörten Telefongesprächen häufiger vor, er wird als “Big Boss aus Moskau” bezeichnet, bei dem die Separatisten in Telefonaten direkt um militärische Hilfe bitten. BBC und Bellingcat haben Forensiker gebeten, die Stimme von Wladimir Iwanowitsch aus den abgehörten Gesprächen mit der Stimme des FSB-Generals Andrej Burlaka zu vergleichen. Die Experten kamen zu dem Schluss, dass die Proben übereinstimmen.

Formell bleibt weiterhin unklar, ob und wie Putin selbst in die damaligen Aktivitäten involviert war. In Wirklichkeit ist aber unvorstellbar, dass sein Berater Surkow, FSB-General Burlaka und auch der vom Kreml installierte Krim-Chef Aksjonow von sich aus und ohne Abstimmung mit ganz oben handelten. Und so lässt sich nahezu zweifellos feststellen: Genauso wie die große Invasion am 24. Februar 2022 wurde auch der ursprüngliche Donbass-Krieg am 12. April 2014 von Putin begonnen.

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